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Antibiotika: Für Humanmedizin priorisieren – EU-Ausschuss lehnt Entschließungsantrag ab, der Einsatz in der Tiermast reduzieren sollte

Jede Menge Medikamente (Tabletten und Kapseln), buntes Durcheinander

Am Mittwoch, dem 15.09.2021, wurde im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des Europäischen Parlamentes ein Entschließungsantrag abgelehnt [1]. Er sollte sicherstellen, dass das Verbot bestimmter Verwendungen antimikrobieller Wirkstoffe (Antibiotika) ausreichend präzise formuliert ist. 

Weltweit breiten sich multiresistente Krankheitserreger aus, gegen die unsere gängigen Antibiotika nicht mehr wirken. Damit droht in naher Zukunft, dass die Therapie tödlicher Infektionskrankheiten nicht mehr erfolgen kann – schon heute treten derartige Fälle auf [2]. Gleichzeitig werden Antibiotika in großer Menge in der Tiermast eingesetzt. Dadurch werden Resistenzen häufiger. Um Therapiemöglichkeiten zu erhalten, werden daher sogenannte „Reserveantibiotika“ für medizinische Notfälle zurückgehalten. Sie werden mit Bedacht eingesetzt, damit nicht auch noch gegen sie Resistenzen entstehen.

Der abgelehnte Entschließungsantrag kritisierte nun, dass die Kriterien, was ein Reserveantibiotikum ist, verschärft werden – sodass mehr Wirkstoffe für Notfälle reserviert werden und weniger in der Tiermast eingesetzt werden dürfen. Dies wäre im Einklang mit der Position der europäischen Gesundheitsbehörde EMA, die von einem Einsatz von Reserveantibiotika in der Tierzucht abrät, um sie der Humanmedizin vorzubehalten.

Der EU-Abgeordnete der Piratenpartei Deutschland, Patrick Breyer, unterstützte mit seiner Stimme den Entschließungsantrag und schreibt auf Twitter [4]:

„Die EU-Kommission missachtet die Empfehlung der @WHO (World Health Organisation/Weltgesundheitsorganisation) und will erlauben, dass für Menschen zurückgehaltene lebensrettende Reserveantibiotika an Tiere verabreicht werden. In der Massentierhaltung entwickelte Resistenzen machen sie wirkungslos. Wir Piraten stimmten vergeblich für ein Veto.“

Ein Beispiel für einen bakteriellen Krankheitserreger, dessen Antibiotika-Resistenzen zunehmend Probleme in der Behandlung machen, ist MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus). MRSA besiedelt zum Beispiel die Haut oder Schleimhäute, oft ohne eine Erkrankung hervorzurufen. Häufig sind MRSA-Bakterien in der Nase, im Rachen oder in der Leistengegend nachweisbar. Eine Infektion entsteht aber, wenn die MRSA-Bakterien über Wunden in den Körper gelangen. Dies ist insbesondere ein Problem nach Operationen mit offenen Wunden, weshalb nach Operationen Antibiotika gegeben werden. Ist aber MRSA in die Wunde eingedrungen, muss der Erreger identifiziert sein, um aus bestimmten Antibiotika auszuwählen, gegen die MRSA noch keine Resistenz aufweist.

Reserveantibiotika haben zumeist ein breiteres Wirkspektrum als Standardantibiotika. Sie sollten nur dann eingesetzt werden, wenn Standardantibiotika nicht wirksam sind oder lebensbedrohliche Infektionen vorliegen. Je häufiger Bakterien mit einem Antibiotikum in Berührung kommen, umso größer ist die Gefahr, dass Resistenzen entstehen. Reserveantibiotika sollten deshalb nicht bei einfachen Infektionen verordnet, sondern mit Bedacht eingesetzt werden. Die Antibiotika, die in der Tiermedizin jetzt schon eingesetzt werden, sind in der industriellen Tierzucht vonnöten: Die meisten Tiere stehen zu eng nebeneinander, sodass sich Keime sehr schnell ausbreiten können. 

Der zu umfangreiche Einsatz von Antibiotika spiegelt sich auch darin wider, dass seit 2001 Antibiotika selbst im – eigentlich reinen – Trinkwasser nachzuweisen sind. [5] Eine ZDF-Dokumentation von 2019 unterstreicht das [6]. Antibiotika gelangen auf verschiedenen Wegen in das Abwasser und damit in die Umwelt. Selbst geringe Rückstände steigern die Ausbildung und Verbreitung multiresistenter Bakterien. Kommunale Kläranlagen sind jedoch nicht dafür ausgerichtet, Mikroverunreinigungen wie Antibiotika herauszufiltern. Das gilt auch für Bakterien. Denn obwohl das Abwasser in Kläranlagen meist eine dreistufige Behandlung durchläuft, sinkt die Bakterienkonzentration nur um zwei bis drei Zehnerpotenzen. Bakterien liegen im Klärschlamm also gleichzeitig mit Antibiotika-Rückständen vor. Neben dem Risiko von Resistenzbildungen besteht die Gefahr, dass Antibiotika ganze Bakterienstämme vernichten können. Bakterien, die wichtig sind zum Abbau von Giften und Stoffwechselprodukten, aber auch um ein Gleichgewicht von Bakterienkulturen aufrechtzuerhalten. Es droht ein Artensterben auf mikrobieller Ebene, das sich wiederum auf andere Bereiche von Flora & Fauna auswirkt.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) schreibt [7]: 

„Die Entstehung von Antibiotikaresistenzen kann nicht verhindert, sondern höchstens verlangsamt werden. Antibiotikaresistenzen nehmen weltweit zu. Sie sind eine der größten Herausforderungen für die globale Gesundheit dieser Zeit.“

Sandra Leurs, Themenbeauftragte für Gesundheit und Pflege, kommentiert nach Beratungen im Team der Arbeitsgemeinschaft Gesundheit und Pflege:

„Schon während meiner Ausbildung zur Altenpflegefachkraft lernte ich viel über MRSA und den Umgang damit, deshalb wäre mein Votum ebenfalls für diesen Entschließungsantrag zur Eindämmung von Antibiotika Resistenzen ausgefallen.“ 

Die Forschung zu Antibiotika oder Ersatzstoffen erfolgt nicht ausreichend. Die Notwendigkeit, Reserveantibiotika zurückzuhalten, um Menschenleben zu retten, schafft ein eklatantes Problem: Pharma-Firmen müssten viel Geld in die Entwicklung investieren, könnten aber nur geringe Mengen von neuentdeckten Antibiotika absetzen, da der Einsatz neuer Wirkstoffe begrenzt sein muss. Ein neues Finanzierungsmodell ist daher nötig, und ein Investitionsprogramm der Pharmaindustrie bringt neue Hoffnung [8], dass die Antibiotikaentwicklung doch noch zu unser aller Vorteil vorangebracht werden kann.

Alexander Fleming, der 1928 durch Schludrigkeit das Penicillin fand, wusste schon von sich entwickelnden Resistenzen [9]. Er beendete  seine Nobel-Preis-Vorlesung mit der Warnung, dass Penicillin mit Bedacht eingesetzt werden sollte, um Resistenzen zu vermeiden. 

Dies gilt bis heute auch für die in der Humanmedizin eingesetzten Antibiotika. 

Quellen:

[1] www.europarl.europa.eu/doceo/document/B-9-2021-0424_DE.html

[2] www.stiftung-gesundheitswissen.de/wissen/antibiotika-resistenzen/resistenz

[3] europa.eu/european-union/about-eu/agencies/ema_de

[4] twitter.com/echo_pbreyer/status/1438479615773876228

[5] www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2001/daz-31-2001/uid-1183

[6] www.zdf.de/politik/frontal/antibiotika-im-wasser-100.html

[7] www.rki.de/DE/Content/Infekt/Antibiotikaresistenz/Grundwissen/Grundwissen_inhalt.html

[8] www.aerzteblatt.de/nachrichten/105955/Entwicklung-von-Antibiotika-fuer-Pharmaunternehmen-wenig-lukrativ

[9] antibiotika-alternativen.de/faktencheck/schon-alexander-fleming-warnte-vor-antibiotika-resistenzen/